Im Supermarkt (Frankreich 2018)

Auch wenn eingefleischte Frankophile immer wieder hartnäckig behaupten, dass im schönen Frankreich die kulinarischen Spezialitäten quasi auf den Bäumen wachsen und dass nicht zuletzt auch in den dortigen Bächen - wenn auch zuweilen leicht radioaktiv - stets Milch und Honig fließen, so bleibt dem gewöhnlichen Reisenden zuweilen doch nichts anderes übrig, als ab und an ganz schnöde im Supermarkt einkaufen zu gehen.

Ja, ich höre sie schon, die Müsli-Männer mit Rucksack, Dutt und Bastsandalen: Supermarkt? Wieso das denn? Wo es doch nichts Herrlicheres in Frankreich gibt als die allgegenwärtigen lokalen Märkte, die doch ganz allgemein und auch gerne mehrmals in der Woche ein reiches Angebot an frischem Obst und Gemüse vorhalten. Und manchmal gibt es dort sogar Schuhe – nicht nur die aus Bast – und, man höre und staune, zuweilen sogar Haarbürsten und Hundeleinen.

Außerdem weiß doch schließlich jeder, dass dem gewöhnlichen Franzosen eine einfache Baguette, ein Stück duftender Käse und ein Gläschen Rotwein*, am Wegesrand genossen, völlig zum Erdenglück genügen. Und daher sollte es doch dem deutschen Touristen, wenn auch seit der Euro-Einführung nicht mehr recht und billig, aber so doch immerhin lieb und teuer sein, sich solchermaßen an die örtlichen Gewohnheiten anzupassen! Und genau dafür ist doch alles auf jedem gewöhnlichen Wochenmarkt zu haben!
*)Anmerkung der Red.: In vorauseilendem Gehorsam gegenüber der Bundes-Suchtbeauftragten haben wir hier vorsichtshalber mal nur von einem „Gläschen“ und nicht mehr vom althergebrachten „Fläschchen Rouge/Rotwein“ gesprochen! Hihi, als wenn es in irgendeiner Weise im Ernst durchführbar wäre, ein gefülltes Glas bei gleichzeitigem Hantieren mit Baguette und Käse unfallfrei zu halten, wenn man sich an den Wegrand setzen will!

Nun, bleiben wir bei der Sache: Zugegeben, auch ich habe Spaß beim Flanieren über solcherlei Märkte. Da trifft es sich gut, dass gleich in unmittelbarer Nähe unseres südfranzösischen Feriendomizils ein niedliches kleines Städtchen liegt mit einem wirklich erstaunlich umfangreichen Marktgeschehen und das auch noch wirklich an drei Tagen in der Woche! Aber ganz ehrlich: Um auf einer - zeitlich begrenzten - Reise konzentriert und effizient nicht nur Obst und Gemüse, exotischen Honig, bunte, selbstgezogene Wachskerzen, Gürtel, Haarspangen etc. einzukaufen, sondern eben auch Spülmittel, Mülltüten, Bier und Shampoo, und das ohne gleich einen halben oder gar einen ganzen Tag zu opfern, bleibt auch dem aufgeklärtesten Biofreund letztlich eben nur, wie erwähnt, der Besuch eines ganz gewöhnlichen Supermarktes.

Nicht cool, meint Ihr? Und wie das cool ist, sogar sehr cool, gewissermaßen sogar obercool! Man frage nur die Kassiererinnen und besonders diejenigen Kolleginnen, die hierzulande an den Fleisch- und an den übrigens exzellenten Fischtheken mit Schals um den Hals und gerne auch mit Wollmützchen, auf jeden Fall aber mit warmem und feste zugezippten Sweat-Shirt arbeiten! Es ist nämlich da drinnen oft wirklich kühl, ja sogar manchmal verdammt kühl.

Auch die geneigte Kundschaft ist oft gut beraten, ein Jäckchen über dem Sommerhemd oder der Sommerbluse zu tragen, vor allem, wenn sich der Einkauf mal wieder etwas länger hinzieht, weil man natürlich jede Menge Artikel erst einmal angestrengt suchen und einen oft nicht geringen zeitlichen Aufwand betreiben muss, so mancher französischen Beschriftung den genauen Inhalt der Konserven, Tüten oder sonstigen Verpackungen zu entlocken. Denn immerhin will man sicher sein, am Ende keine Dose mit Hundenahrung - zumindest nicht für einen selbst - oder etwa Bier mit Fruchtgeschmack, Darminnereien oder ähnliche Schweinereien in den Einkaufskorb gepackt zu haben.

Nun, wenn man das alles erfolgreich gemeistert hat und auch an der Fischtheke in makellosem Deutschfranzösisch irgendein nicht näher definiertes Meerestier erstanden hat, nähert man sich unausweichlich der Kasse. Sogleich beschleichen den wackeren Einkäufer dabei heimatliche Gefühle, wenn er nämlich feststellen muss, dass, ganz wie zu Hause, die Anzahl der Kunden oft umgekehrt proportional ist zu derjenigen der besetzten Kassen. „Unser“ Supermarkt hier in der Nähe schießt hier übrigens den Vogel ab: Von sage und schreibe 12 Kassen sind gewöhnlich gerade mal zwei bis drei besetzt. Heute war es sogar nur eine! Reicht doch auch, oder? Ihr habt doch Zeit, Ihr elenden schmarotzenden Pensionäre, oder? Wenn man eben unbedingt dann einkaufen gehen muss, wenn auch die lokalen Berufstätigen gehen - also hier so etwa zwischen drei und vier nachmittags - dann ist man doch selbst schuld!

Also aufhören zu jammern und stattdessen - so wie heute geschehen - fasziniert zuschauen, wie an der einzigen offenen Kasse ein Opi mit seiner überforderten Tochter (oder ist es die Spätgeliebte?) verzweifelt versucht, mit Karte zu zahlen. Erst einmal fand Opi nämlich die Karte erst gar nicht, darauf hin hat man es gemeinsam - natürlich vergeblich – wohl mit der Punktekarte, vermutlich von einem Konkurrenzunternehmen, versucht. Anschließend brachte anscheinend auch die vermutliche Verwendung einer Krankenversicherungskarte keinen Durchbruch. Schließlich und endlich, mit Unterstützung der extrem geduldigen Kassiererin - da könnte sich so manche missgelaunte Supermarktschnepfe bei uns eine Scheibe abschneiden - fand man, möglicherweise unter dem Führerschein und dem Mitgliedsausweis vom Automobilclub, doch tatsächlich eine „Carte bleue“. Das ist etwa so das Äquivalent zu unserer EC-Karte. Diese Karte heißt übrigens nicht nur „bleue“, sie ist sogar tatsächlich blau und war daher für den Besitzer unter all den anderen Papieren daher sicherlich nur schwer zu erkennen gewesen! Nun wartete man mit Spannung auf die Eingabe der Geheimnummer. Diese ist jedoch offensichtlich auch für den Besitzer selbst stets geheim geblieben, denn er hackte mehrfach vergeblich auf dem Eingabegerät herum.

Ich schaute mich inzwischen mal einfach mal so um und freute mich riesig, dass ich mich in der inzwischen beeindruckend langen Warteschlange doch immerhin günstig auf Position drei befand! Leider war ich durch diesen Rundumblick etwas abgelenkt gewesen und deswegen ist mir doch glatt die Lösung des PIN-Geheimhaltungsproblems entgangen! Denn zu meiner maßlosen Verblüffung quälte sich doch tatsächlich inzwischen ein Kassenstreifen aus der Maschinerie! Mein Verdacht: Die Kassiererin war es einfach leid und hat ihre eigene Bankkarte eingeführt! Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Oder hat die Spätgeliebte - ich habe mich diesbezüglich inzwischen festgelegt - schweren Herzens das Restlimit ihrer Kreditkarte riskiert? Wir werden es nie erfahren!

Auch die auf Position zwei stehende Dame zerstörte zu meiner Enttäuschung umgehend meine Hoffnung auf einen im folgenden zügigeren Ablauf, denn sie war sich offensichtlich nicht ganz im klaren darüber gewesen, dass man – quel surprise – spätestens nach dem Scannen des letzten Artikels doch tatsächlich zur Bezahlung aufgefordert wird! Denn nur so ist es zu erklären, dass sie sich erst jetzt auf die Suche nach ihrem Portemonnaie begab. Das ging dann so:

Handtäschchen auf,
kleines Täschchen raus,
kleines Täschchen auf,
Geldbeutel raus,
Geldbeutel auf,
alte Einkaufszettel raus
Nebenfach auf,
Geldscheine – unsortiert – raus
wieder kleines Täschchen auf,
Brillenetui raus,
Brillenetui auf,
Lesebrille raus,
Lesebrille auf,
Geldeutel wieder auf,
einen Geldschein raus,
Wechselgeld, nicht ohne feinste vorherige Sortierung, wieder rein,
ein fröhliches „Au revoire et bonne journèe“ seitens der immer noch extrem netten Kassiererin - die war einfach ‚ne Wucht! - noch mal hinterfragen und dann, ja erst DANN, die eingekaufte Ware einpacken,
dabei am Ende feststellen, dass die mitgebrachte Konkurrenztasche nicht ausreicht und wegen einer weiteren Tasche nachfragen, diese auch erhalten und dann aber dafür 10 Cent berappen müssen, wodurch automatisch folgt:
Handtäschchen auf,
kleines Täschchen raus…

(mit Rücksicht auf die mentale Gesundheit meiner geschätzten Leser wurden die kommenden Zeilen übersprungen)

Unabhängig von den hier geschilderten temporeichen Abläufen war aber noch zu beobachten, dass außer den Kassenstreifen jeweils eine fröhlich bunte Mischung aus Coupons mit ausgedruckt wurde. Ich vermutete erst mal, dass die vielleicht neu installierte Kassen-KI – wahrscheinlich mit inkludierter Gesichtserkennungs-Software - aufgrund der ewigen Bezahldauer unterstellt hatte, dass das soeben geradezu zwei Monstereinkäufe gewesen sein müssen und deswegen ganz autonom entschieden hat, einfach jeweils eine regelrechte Gutscheinorgie auszuspucken.

Nein! Das kann es wohl doch nicht gewesen sein, denn auch ich wurde trotz vergleichsweise bescheidenen Einkaufsvolumens und geradezu blitzartiger Zahlungsabwicklung mit einem ganzen Stapel Coupons bedacht. Meine anfängliche Begeisterung darüber erlitt jedoch einen merklichen Dämpfer, nachdem ich die bunten Scheinchen nach dem Verladen meiner Einkaufsbeute ins Auto anschließend etwas genauer in Augenschein genommen hatte.

Da wird zwar gleich einmal ein fetter Rabatt beim nächsten Einkauf von bis zu 10 Prozent versprochen, allerdings nur für Inhaber einer ominösen Kundenkarte. Immerhin gab es da aber noch einen weiteren Coupon im Wert von glatten 5 Euro, aber dieser gilt halt, wie man später belehrt wird, nur an einem einzigen Tag. Zwar ist das kein Sonntag, wie ich erst mal vermutete, sondern tatsächlich ein Geschäftstag, aber dafür gilt er halt eben auch nur bei Einkäufen von 500 Euro oder mehr (Tiernahrung und Motoröl ausgenommen). Außerdem kann man ihn natürlich nicht mit anderen Coupons kombinieren, also nicht „kumulieren“. Auch nicht Panaschieren übrigens, denn wir sind ja trotz dieser Formulierung schließlich nicht bei einer Kommunalwahl!

Ein weiterer Coupon berechtigt dann doch noch zu einem satten Rabatt von 20 %, allerdings nur für den Kauf eines weiteren Shampoos wie das soeben erstandene. Jetzt bin ich ja wirklich ein täglicher Haarwäscher und betrachte mich auch sonst für recht reinlich, aber für die Dauer meines Aufenthalts werde ich es wohl nicht schaffen, ein weiteres Shampoo zu benötigen. Gut ich könnte es verschenken oder unseren Hund damit einschäumen, jedoch benötigt mein Wauwau ein wesentlich spezielleres Shampoo und so verabschiedete ich mich schweren Herzens auch von diesem unschlagbaren Angebot. Ebenso übrigens wie von einem 10%-Rabatt auf einen Liter Motoröl (nur 10:40er) oder alternativ auf einen Liter virgines Olivenöl, der allerdings nur in Verbindung eines Erwerbs von mindestens 100 Müllsäcken à 60 Liter Inhalt gegolten hätte. Da ein weiterer Gutschein über immerhin 7 Euro beim Kauf von mindestens 30 Fruchtjoghurts nur noch eine Stunde Gültigkeit hatte, gab ich das Projekt schließlich ganz auf und fuhr enttäuscht, aber immerhin doch neu verproviantiert, zurück ins Feriendomizil.

Da soll mir mal keiner kommen und sagen, dass man das alles auch auf einem Wochenmarkt erleben kann! Ähnlichkeiten mit Begebenheiten in deutschen Supermärkten sind übrigens ganz und gar nicht zufällig!

Salut aus Gallien!

Euer Palix Gallicus